Verhungert die Welt bei flächendeckender Öko-Landwirtschaft? Braucht eine umfassende Ernährung der Weltbevölkerung Chemiekeule und Agroindustrie? Ein Kommentar von Bernward Geier
Wird über die biologische Landwirtschaft im Zusammenhang mit Welternährung diskutiert, steht die Frage, ob die Welt bei flächendeckender Öko-Landwirtschaft verhungert, sehr schnell im Vordergrund. Oft wird aber gar keine Frage gestellt, sondern es wird einfach behauptet, dass mit biologischem Landbau die Weltbevölkerung nicht zu ernähren wäre.
Es ist weit verbreiteter Konsens, dass die Ursache für Hunger nicht die mangelnde Produktion von Lebensmitteln ist, sondern, wie es einmal jemand treffend formuliert hat: „Hunger ist ein Kind von Armut.“ Während etwa 800 Millionen Menschen in der Welt hungern, haben wir ziemlich genau die gleiche Anzahl an Menschen, die gravierend übergewichtig bzw. überernährt sind. Heute (und auch für eine weiterhin wachsende Bevölkerung) werden genügend Lebensmittel produziert, aber dies gewährleistet offensichtlich nicht, dass Nahrung für alle zur Verfügung steht. Die zentrale Frage bei der Lebensmittelversorgung ist demnach nicht, ob wir genug Lebensmittel – egal ob mit Biolandbau oder Gentechnik – produzieren, sondern ob die Menschen Zugang zu den nötigen Ressourcen, Technologien, zu Wissen und Kaufkraft haben, sich selbst zu ernähren.
Die Versprechungen der Gentechnik-„Propaganda“-Maschinerie – mit dieser Technologie endgültig die Welternährung sicher zu stellen – sind keine Lösung. Gleichzeitig ist es auch nicht die unmittelbare Aufgabe des biologischen Landbaus, die Welternährung zu sichern. Wir müssen generell Landwirtschaft so praktizieren und den Welthandel so gestalten, dass die Menschen in ihren Regionen sich selbst ernähren können.
Das Scheitern der grünen Revolution zeigt auf, dass die konventionelle Landwirtschaft mit dem hohen Energie- und Chemieeinsatz nicht der richtige Weg ist, Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten. Der Trend der konventionellen Landwirtschaft zu Monokulturen und Agrarindustrie führte nicht nur zu einer Verarmung der Ernährungsvielfalt, sondern auch zu einer Risikoerhöhung hinsichtlich der Ertragssicherheit.
Eine chemie- und energieintensive Landwirtschaft, die große Kapitalinvestitionen verlangt, kann nicht die Ernährung sichern, und tut dies ja auch nicht. Was wir brauchen sind landwirtschaftliche Systeme, die auf Nutzung örtlicher Ressourcen wie Kompost aufgebaut sind, die Artenvielfalt fördern und die letztendlich die Menschen aus der Abhängigkeit von teurem „Input“ befreien. Genau dies ermöglicht der biologische Landbau. Er kann zu einer wirklichen Steigerung der Produktivität führen, weil er zum Beispiel eine größere Vielfalt an Feldkulturen produziert, das Ertragspotenzial natürlicher Zyklen optimiert und oft begrenzte Ressourcen wie Wasser besser nutzt.
Zahlreiche Studien, etwa jene des United Nation Development Programme („Benefits of Biodiversity“) oder von Greenpeace („The Real Green Revolution“) zeigen mit vielen Fallbeispielen, dass die biologische Landwirtschaft ausgezeichnete Ertragspotenziale hat und vor allem ökonomisch erfolgreich ist. Und dies auch in tropischen und subtropischen Klimazonen, also in Regionen, wo Hunger und Armut besonders ausgeprägt sind.
Biologische Landwirtschaft wird weltweit von Millionen von Bauern und Bäuerinnen praktiziert und dürfte heute schon eine Fläche von 50 Millionen Hektar abdecken. Die Hälfte der Produkte ist zertifiziert und findet ihren Weg in die offizielle Biovermarktung. Die beeindruckende Entwicklung des biologischen Landbaus und der Vermarktung seiner Produkte ist nicht nur ein „Luxus“ der entwickelten Länder. Auch in Ländern des Südens wie Argentinien, Brasilien und auch in Asien kann ein interessantes Wachstum des Biosektors festgestellt werden.
In den Mittelpunkt der Diskussionen müssen wir aber auch das Konsumverhalten stellen. Sollte flächendeckend auf den biologischen Landbau umgestellt werden, können wir sicher nicht genug Lebensmittel für alle Menschen zur Verfügung stellen, wenn sich die Esskultur auf dem hohen Fleischkonsum-Niveau weiterentwickelt. Anstatt auf die Heils- und Lösungsversprechen der Gentechnik-Industrie hereinzufallen oder noch mehr synthetische Chemie auf unsere Felder zu bringen, sollten wir darauf achten, unsere Esskultur auf ihre Nachhaltigkeit zu überprüfen und entsprechend neu auszurichten. Es geht in diesem Zusammenhang etwa um die Diskrepanz, dass 70% der Getreideproduktion der USA mit all den „Veredelungsverlusten“ in Futtertrögen von Tieren landen, während in Indien 98% des Getreides direkt konsumiert werden.
Die Bewegung des biologischen Landbaus mit ihren ganzheitlichen Konzepten und multifunktionalen Lösungen bietet eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Menschheit sich zu einer nachhaltig verhaltenden Gesellschaft weiter entwickelt und sich alle Menschen gesund und ausreichend ernähren können.
www.ifoam.org
Bernward Geier ist Direktor für Internationale Beziehungen der Vereinigung Biologischer Landbaubewegungen (IFOAM), der weltweit 750 Mitgliedsorganisationen in über 100 Ländern
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